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Farbharmonien eruieren

Farbharmonien eruieren

Farbkonzepte des 20. Jahrhunderts sind delikat, weil sie nicht wie ältere Raumgestaltungen geprägt sind von Ornamenten oder Mustern, sondern vom Zusammenklang vieler einzelner, aufeinander abgestimmter Farbtöne. Nach 1900 hat nämlich in der Gestaltung von Innenräumen Farbe an sich die Oberhand gewonnen über die Form, der Farbraum hat den Ornamentraum abgelöst. Die Rekonstruktion von Farbräumen ist deshalb knifflig, weil Bauuntersuche weder eindeutige Farbreferenzen noch zusammenhängende Befunde liefern. Der nachfolgende Text widmet sich der Frage nach der Interpretation von Befunden und stellt eine Methode dazu vor.

Die ersten Fragen, die sich den Farbforschern angesichts von Bauuntersuchen stellen sind: Wie sah die originale Farbpalette aus? Welches Konzept stand hinter der Farbgebung? Das Haus der Farbe hat sich mit seinem interdisziplinären Team auf diese Frage spezialisiert und in jüngster Zeit für verschiedene bedeutende Zeitzeugen der Architektur des 20. Jahrhunderts im In- und Ausland Farbinventare und Farbreferenzen erarbeitet. Anhand des vorgestellten Projekts – eines Farbkonzepts von Theo Van Doesburg in Drachten NL  – werden die Fragestellung und die Methode erläutert.

Theo Van Doesburg lieferte für die 1921 von Cees de Boer erbaute Wohnsiedlung in Drachten ein einzigartiges Farbkonzept, aufbauend auf dem bunten Dreiklang rot, gelb, blau und dem unbunten Dreiklang grau, schwarz, weiss in vielen Variationen. Zu jener Zeit weilte er in Weimar und vermittelte dem Architekten seine Ideen mittels Briefen, aufgemalten Farbfeldern und Farbharmonien sowie mit Tapetenmustern. Die Farbharmonien sind Farbklänge von zwei bis drei Farben, die sich jeweils auf einen Raum bezogen. Das Konzept wurde weitgehend nach seinen Wünschen umgesetzt, allerdings entschied der Architekt vor Ort teilweise pragmatischer oder auch einfach anders. 2017 wird eines der Häuser gänzlich renoviert, um als Museumshaus – unter dem Namen Van Doesburg-Rinsema Haus – neu eröffnet zu werden. Vorangegangen ist ein beispielhafter Bauuntersuch.

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Wohnsiedlung Papageienviertel Drachten Holland 1921

Die Befundlage war kompliziert. Einerseits gab es den gründlichen Bauuntersuch mit fast lückenlosen Farbbefunden und Laboruntersuchen von Proben. Andererseits waren punktuelle Kontrolluntersuche in benachbarten Häusern sowie die Farbentwürfe und Farbharmonien von Theo Van Doesburg im Museum vorhanden. Die Spezialisten vor Ort wünschten sich von den Farbfachleuten vom Haus der Farbe Unterstützung bei der Interpretation der Befunde und Quellen.

Die mittlerweile bewährte Methode beruht auf dem Nachmischen von Farben und dem visuellen Rekonstruieren der Farbpalette. Vergleichbar mit dem Stimmen von einem Ensemble geht es dabei um die Feinabstimmung von einzelnen Farbtönen zugunsten einer in sich stimmigen Farbkomposition. In einem ersten Schritt werden bereits beim Nachmischen Vergilbungen und andere Farbveränderungen korrigiert. Dieser Vorgang erfordert Erfahrung und Wissen um das Verhalten von Pigmenten und Bindemitteln. Eine absolute Sicherheit ist dabei nicht möglich, jedoch eine solide Annäherung – eine sachlich fundierte und nachvollziehbare Interpretation. Im Falle des Van Doesburg-Rinsema Hauses wurden zusätzlich zu den Befundfarben auch die Farben von den 1921 gemalten Mustern des De Stijl Künstlers nachgemischt. So entstanden einerseits die Idealpalette von Theo Van Doesburg und andererseits die ausgeführte Farbreihe von Cees de Boer.

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Nachmischen von Farben

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Ein nachgemischter Farbton wird mit einer Sondierungsstelle an der Haustüre verglichen.

Farbharmonien eruieren
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Nachgemischte Farbreferenzen werden mit Originalentwürfen von Theo Van Doesburg im Museum verglichen. Altersbedingte Farbveränderungen werden dabei korrigiert.

Entscheidend ist, dass beim Nachmischen der Farben die Nuancen immer wieder vor Ort überprüft werden. Deshalb war es ideal, dass im geplanten Museumshaus ein temporäres Atelier eingerichtet werden konnte und im Archiv des Museums Drachten der Zugang zu den Originalen von Van Doesburg möglich war.

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Temporäres Atelier in der Torenstraat 3 in Drachten

Erst wenn alle einzelnen Farbtöne vorliegen wird in der Gesamtschau der Farbpalette eine Feinabstimmung der Nuancen möglich. Auf dieser Grundlage setzt eine verfeinerte Analyse des Kolorits und der Einzelfarben ein: Gibt es Farben, die in der Palette auffallen, weil sie nicht im selben Timbre, also fremd, dissonant, zu klar oder zu trüb sind? Diesen Fragen wird nochmals nachgegangen, Befunde werden mit Mustern verglichen, Harmonien überprüft, Quellen konsultiert und Ergebnisse und Hypothesen mit den Mitgliedern des Teams diskutiert. Das Ziel dieser Feinanalyse ist nach hartnäckigem Hinterfragen unter Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen einen Konsens zu finden für eine historisch begründbare Palette.

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Wenn alle Farbmuster vorliegen kann die Palette als Ganzes erfasst werden. Hier werden Farbharmonien im Zusammenklang überprüft.

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Übersicht über die Farbmuster. Insgesamt kamen in der gesamten Siedlung rund 25 verschiedene Farben zur Anwendung, dazu feingemusterte Tapeten in unterschiedlichen Grauabstufungen in den Wohnräumen.

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Die Farbpalette von Theo Van Doesburg für das Papageienviertel. In dieser reinen Form kam sie nie zur Anwendung, sondern wurde durch den ausführenden Architekten Cees de Boer teilweise uminterpretiert und teilweise vereinfacht.

In der Torenstrasse 3 in Drachten wird nun ein Farbkonzept rekonstruiert, das in zwei Räumen die de Boer-Variante zeigt, während die übrigen Räume nach Van Doesburgs Entwurf gestaltet werden. Die Farbreferenzen vom Haus der Farbe bilden heute, wie auch bei weiteren Renovationen verbindliche Vorgaben für das Nachmischen der Farbtöne. Sowohl die Industrie als auch die Handwerker können davon Gebrauch machen. Bei den Farbreferenzen handelt es sich wie der Name sagt, um Referenzen, die folgende Prämissen erfüllen: Sie sind farbstabil, UV-resistent, robust und baustellentauglich. Handwerklich-technische Muster werden in einem zweiten Schritt angefertigt – idealerweise vom ausführenden Handwerker in Originaltechnik und originalem Anstrichstoff.

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Die Gesamtheit der Befunde und die Erkenntnisse zum Farbkonzept und zur Farbpalette bilden zusammen die Basis für die Rekonstruktion.

Die Methode des Nachmischens von Farbpaletten und -referenzen kann immer dann hilfreich sein, wenn ein historisches Farbkonzept analysiert, restauriert oder rekonstruiert wird. Bei bedeutenden Bauten des 20. Jahrhunderts sollte das Vorgehen zum Standard werden. Der Aufwand rechtfertigt sich durch eine präzise Interpretation der Befunde und eine klare Farbkommunikation im Werkprozess. Investiert man bei Dekorationsmalereien Zeit und Geld in Freilegung, Retouchen und Ergänzungen, so ist bei Farbräumen der Interpretation der Befundsituation entsprechend Raum und Zeit einzuräumen. Ein Umdenken, das sich lohnt.

Text
Stefanie Wettstein und Marcella Wenger

Bilder
Haus der Farbe


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