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Hebelschulhaus, historische Farbpalette als Gestaltungswerkzeug

Hebelschulhaus, historische Farbpalette als Gestaltungswerkzeug

Farbbefunde in historischen Innenräumen sind in der Regel lückenhaft. Einzelne Farbanstriche oder Oberflächenmaterialien gehen bei Umbauten und Renovationen oft unwiderruflich verloren. Deshalb sind Befunde nicht immer einfach zu interpretieren. Aktuelle Bedürfnisse und Bauauflagen verlangen zudem vielfach nach zeitgenössischen Interventionen. So gilt es meist nicht nur Lücken in der historischen Farbigkeit zu schliessen, sondern auch Farbentscheide für neue Baueingriffe zu fällen.

Damit beide Schritte sowohl historisch als auch konzeptionell gut verankert sind, ist eine sorgfältige und umfassende Analyse und Darstellung der ursprünglichen Farbpalette und Farbstrategie hilfreich. Die Methode wurde vom Haus er Farbe bei der Renovation eines Schulhauses aus den 1950er Jahren in Riehen bei Basel entwickelt und in Zusammenarbeit mit MET Architects erfolgreich angewendet.

Hebelschulhaus, historische Farbpalette als Gestaltungswerkzeug

Innenraum nach der Renovation

Das Farbinventar – das charakteristische Kolorit sichtbar machen

Die Innenräume des Hebelschulhauses zeichnen sich durch einen sorgfältigen und differenzierten Umgang mit Farben, Materialien und Oberflächen aus. Obwohl die meisten gestrichenen Oberflächen im Laufe der Zeit überfasst wurden, konnte das historische Kolorit im Rahmen einer Farbuntersuchung weitgehend erfasst werden. Dazu wurden die vorgefundenen und freigelegten Farben mit historischen und zeitgenössischen Farbfächern abgenommen und mit entsprechenden Codes in einem Inventar erfasst. Im Atelier wurden dann alle Farben nachgemischt und grossflächig auf Karton aufgestrichen. Aus dem so entstandenen Material wurden Farbfächer und Farbkarten hergestellt, die das historische Kolorit des Schulhauses erst richtig sichtbar machten. So zeigen zwei verschiedene Fächer je die Palette der Anstrichfarben und diejenige der Materialfarben. Die Farben wurden zudem auf Plänen verortet.

Hebelschulhaus, historische Farbpalette als Gestaltungswerkzeug

Farbfächer mit historischen Material-bzw. Anstrichfarben

Hebelschulhaus, historische Farbpalette als Gestaltungswerkzeug

Plan des Erdgeschosses mit Farbmustern nach Befund

Das Farbkonzept – Farbstrategien eruieren und Lücken schliessen

Auf der Basis des Farbinventars konnte in einem zweiten Schritt das Farbkonzept der 50er Jahre analysiert und beschrieben werden, was wiederum half, Lücken in der vorgefundenen Farbpalette zu schliessen. Das ursprüngliche Farbkonzept im Hebelschulhaus basiert auf einer ausgewogenen Kombination von Materialfarben und gestrichenen Oberflächen.

Eher warme und reich nuancierte Grau- und Beigetöne bilden das Grundkolorit an Wänden und Decken. Sämtliche Grautöne haben einen relativ hohen Buntanteil und tendieren oft ins Rötliche oder Grünliche. Ausserdem variieren sie von Dunkel bis Mittelhell. Die Beige-und Weisstöne sind ebenfalls stets mit Bunttönen gebrochen. Diese grau-beige Grundfarbigkeit wird mit kräftigen Farben kombiniert, die sich im gesamten Farbkreis verteilen: vom Rotbraun der Bodenbeläge und der Backsteinwände, zum Blau, Grün und Gelb der Türen und dem hellen rotbraunen Terrakottaton der Sonnenstoren und Vorhänge. Dieser Farbton ist an der Innenseite der Türen im Untergeschoss ebenfalls vorhanden. Gelb und Grün tauchen jeweils als Blickfang an den Wänden am Ende der Korridore wieder auf. Diese Buntfarben sind jedoch allesamt leicht vergraut. Buntfarben findet man auch an den Wänden der Schulzimmer, wobei hier die Farben weniger satt und stark aufgehellt sind.

Das Konzept hat ausserdem einen zeichnerischen Charakter, sind doch Kanten, Bänder, Türzargen, Handläufe und andere Einfassungen jeweils in einem starken Kontrast zum gedämpften Grundkolorit der Wände abgesetzt, so dass sich immer wieder Linien ergeben, welche die Architektur nachzeichnen oder auch zusätzlich gliedern. Diese Wirkung wird unterstützt durch den allgemein starken Helldunkelkontrast in der Farbgebung.
Die Farbpalette zeigt somit ein typisches Kolorit der 50er Jahre. Sie ist in sich variantenreich und ähnliche Nuancen finden sich jeweils auch in unterschiedlichen Materialen.

Das nicht weniger variantenreiche Materialkonzept ist integraler Bestandteil des Farbkonzepts und folgt ebenso einer einsichtigen Strategie. Die Wände sind mit Stramin belegt und, wie auch das Holzwerk, mit Ölfarbe gestrichen. Die Decken hingegen haben einen Anstrich in Leimfarbe. Dazu kommen als materialsichtige Oberflächen Eschenholz für Möbel und Türrahmen, Kunststein bei Treppen und Fensterbänken, durchgefärbtes Leinengewebe mit zusätzlicher Lackierung auf den Türblättern und Linoleum in hellem oder dunklem Grau, mit stark farbigen Einsprengseln in Ocker oder Rosa in den Schulzimmern. Einen ganz wichtigen Baustein im Gesamtfarbkonzept bildet der Klinker, der sowohl am Boden in den Korridoren, als auch an Wänden vorkommt und von rotbraun bis hin zu ockerfarben ist. Aus diesem reichen Materialklang ergibt sich neben einem lebendigen Farbklang auch ein vielfältiges und raffiniertes Spiel von glänzenden und matten, von rauen und feinen Oberflächen.

Die Renovation – Farbentscheide fällen

Bei der Renovation des Schulhauses dienten nun das Farbinventar und das ursprüngliche Farbkonzept als Ausgangslage für alle zu treffenden Farbentscheide. Ein Umbau, sofern er nicht in musealer Absicht erfolgt, verlangt in der Regel Anpassungen an Auflagen und Bedürfnisse der Jetztzeit. Sie reichen vom Einbau neuer Brandschutztüren und Massnahmen zur Erdbebensicherung bis hin zur Umnutzung von Räumen. Die historische Farbpalette und die Kenntnis der damaligen Strategie legte beim Hebelschulhaus eine solide und sowohl konzeptionell als auch visuell nachvollziehbare Grundlage, um neue Entscheide im Sinne des historischen Kontexts zu fällen.

Als Beispiel seien die Farbentscheide in den Schulzimmern erläutert. In den 50er Jahren war hier teilweise ein dunkelgrauer Linoleum mit rosafarbenen Einsprengseln verlegt, der heute jedoch nicht mehr produziert wird. Zudem wird neu anstelle einer dunklen Wandtafel eine helle Projektionsfläche installiert. Die Frontwand wurde deshalb heller gewünscht als im ursprünglichen Konzept. So wurde entschieden, das im Linoleum fehlende Rosa dort anzubringen, wodurch das ursprüngliche Farbklima erhalten werden konnte, obwohl keine reine Rekonstruktion stattfand.

Das Ziel der vorgestellten Methode ist also weniger die Rekonstruktion eines ursprünglichen Zustands, sondern eher die rekonstruierende Neugestaltung im historischen Sinne. Dies setzt eine intensive Auseinandersetzung mit der bauzeitlichen Farbpalette und Farbstrategie voraus, die sowohl in eine konzeptionelle Beschreibung als auch in eine massgeschneiderte visuelle Darstellung und Bemusterung mündet. Das Ergebnis ist im Falle des Hebelschulhauses ein aktualisiertes Denkmal, das den Charakter und Charme der 50er Jahre bewahrt hat und dennoch in der Jetztzeit verankert ist.

Steckbrief

Objekt: Hebelschulhaus Riehen bei Basel
Baujahr: 1952-53
Architekten: Rasser & Vadi

Farbgrundlagen

Haus der Farbe, Zürich
Projektleitung: Eva Leuba (Leiterin Projektwerkstatt)
Mitarbeit: Matteo Laffranchi (Restaurator, Leiter Materialwerkstatt), Lino Sibillano und Stefanie Wettstein (Kunsthistoriker, Co-Leitung Haus der Farbe), Francesca Zito (Farbgestalterin, Praktikantin)

Gesamtsanierung

MET Architects, Basel, Thomas Thalhofer, 2010-2013

Text
Lino Sibillano und Stefanie Wettstein

Bilder
Haus der Farbe, MET Architects


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